Asylverfahren

Zu meiner besonderen Freude ist der Bericht über die Herbergssuche auf großes Interesse gestoßen. Manche LeserInnen reagierten allerdings ungläubig auf die von mir geschilderte Situation bei den Asylverfahren.

Für Alle, die sich in die trockene Materie vertiefen möchten, habe ich daher einen aktuellen Bescheid des Asylgerichtshofs (2. Instanz) herausgesucht. Er ist absolut bezeichnend, weil er so ziemlich alle Verfehlungen aufzeigt, die symptomatisch für diese Verfahren sind: es handelt sich um eine syrische Familie, der Mann hat bei der 1. Instanz, dem Bundesasylamt, angeführt, sie seien Christen und er habe den Wehrdienst verweigert.

Das Bundesasylamt hat das Asylansuchen negativ entschieden und ist in der Begründung weder auf die Religionszugehörigkeit, noch die Wehrdienstverweigerung eingegangen. Es wurde lediglich angeführt  „dass er Syrien wegen des Bürgerkrieges verlassen habe und könne nicht festgestellt werden, dass er darüber hinaus im Herkunftsland bedroht worden sei“.

Dagegen hat die Familie eine Beschwerde eingebracht. Einer der Gründe, warum für Flüchtlinge der Zugang zu einer Rechtsberatung so wichtig ist. Denn der Asylgerichtshof hat nun immerhin entschieden, dass das Bundesasylamt den Fall neuerlich prüfen muss. Das heißt praktisch zurück zum Start.

Das ist auch einer der Gründe, warum die Verfahren oft so lange dauern. Und wer den Asylwerbern vorwirft, dass sie die Verfahren damit hinauszögern würden – es ist wohl kaum ihre Schuld, wenn diese so schlampig geführt werden.

Asylgerichtshof

Entscheidungsdatum 25.11.2013

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Benda als Vorsitzenden und den Richter Mag. Huber als Beisitzer über die Beschwerde 1. des XXXX, 2. der XXXX, 3. der XXXX, 4. der XXXX., sowie 5. des XXXX, alle StA von Syrien, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesasylamtes vom 28.05.2013 in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

In Erledigung der Beschwerden werden die bekämpften Bescheide hinsichtlich deren I. Spruchpunkte I. behoben und die Angelegenheiten jeweils gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung neuer Bescheide an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Der am XXXX geborene Erstbeschwerdeführer sowie dessen Ehegattin, die am XXXX geborene Zweitbeschwerdeführerin beantragten am 29.10.2012 für sich selbst sowie für die minderjährigen XXXX die Gewährung internationalen Schutzes gem. § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG.

Die Beschwerdeführer sind syrische Staatsangehörige armenischer Volksgruppenzugehörigkeit christlichen Bekenntnisses. Im Rahmen der erstniederschriftlichen Einvernahme vor der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 29.10.2012 gab der Erstbeschwerdeführer auf Befragen ua. zu Protokoll, dass es in der Herkunftsstadt Aleppo seit Monaten viele Kampfhandlungen gebe und sei die Lage sehr unsicher bzw. das Leben seiner Familie daher bedroht. Einige Zeit vor der Flucht seien die Regionen, wo sie als Christen gewohnt hätten, Ziele von Bombenanschlägen gewesen, bei welchen viele Personen getötet und verletzt worden seien.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, welche in der Muttersprache des Erstbeschwerdeführers, Armenisch, durchgeführt wurde, gab dieser nach Darstellung der Kriegssituation in Aleppo weiters zu Protokoll, dass die Gegner des Präsidenten radikale Muslime und diese auch gegen die Christen seien. Vor der Ausreise hätten die Aufständischen die Kirche bombardieren wollen und haben sie dabei auch die umliegenden Häuser beschädigt und sind dadurch Familien ums Leben gekommen. Das Leben der Familie war daher auch in Gefahr. Seine Frau sei schwanger gewesen und der Kriegszustand habe ihr sehr geschadet. Des Weiteren habe er die Einberufung und auch Anrufe erhalten, weshalb er nicht zum Militär ginge. Überdies sei er Opfer eines Raubüberfalles gewesen. Auf Befragen gab der Erstbeschwerdeführer sodann zu Protokoll, dass er eine Woche vor der Ausreise einen Einberufungsbefehl erhalten habe und sei dieser von einem Soldaten zu ihm nach Hause gebracht worden. Er wisse nicht, wohin er hätte einrücken sollen, es wäre erst bei der Stellung entschieden worden und habe er jedoch nicht kämpfen wollen.

Zum Beweis der Angaben legte der Erstbeschwerdeführer ein in arabischer Sprache gehaltenes Schriftstück vor.

Das Bundesasylamt hat mit Bescheiden vom 28.05.2013 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gem. § 3 AsylG abgewiesen (Spruchpunkte I.), ihnen jedoch im Hinblick auf das Bürgerkriegsgeschehen in Syrien den Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkte II.) und ihnen jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.05.2014 erteilt (Spruchpunkte III.).

Im Bescheid des Erstbeschwerdeführers wurde neben der Feststellung seiner Identität festgehalten, dass er Syrien wegen des Bürgerkrieges verlassen habe und könne nicht festgestellt werden, dass er darüber hinaus im Herkunftsland bedroht worden sei. In der rechtlichen Würdigung zu Spruchpunkt I wurde auf die herrschende Bürgerkriegssituation Bezug genommen.

 

Mit Schriftsatz vom 12.06.2013 wurde fristgerecht gegen Spruchpunkt I. der erlassenen Bescheide Beschwerde erhoben. Die Spruchpunkte II. und III. der erstinstanzlichen Entscheidungen sind in Rechtskraft erwachsen.

Inhaltlich bezogen sich die Beschwerdeführer darauf, dass der Erstbeschwerdeführer seine Heimat aus wohlbegründeter Furcht einerseits vor Verfolgung von Seiten Privater aufgrund seiner christlichen Religionszugehörigkeit und andererseits aus Furcht vor Verfolgung von staatlicher Seite wegen seiner Wehrdienstverweigerung verlassen habe, weshalb er Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Die Erstbehörde würde dem Erstbeschwerdeführer einerseits dessen Fluchtgründe glauben, jedoch sei ausgeführt, dass seine Fluchtgründe nicht unter den Begriff der Flüchtlingseigenschaft fallen würden. Die Behörde erster Instanz habe das Verfahren mit einem Ermittlungsfehler dergestalt belastet, dass sie überhaupt nicht auf die Tatsache eingegangen sei, dass er Christ sei und deshalb Probleme wegen der Religionszugehörigkeit im Herkunftsstaat gehabt habe. Weiters sei die Erstbehörde zum Thema Einberufungsbefehl bzw. Wehrdienst ebenfalls nicht eingegangen bzw. habe sie die ihr auferlegte Ermittlungspflicht vernachlässigt und somit den maßgeblichen Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt. Im Weiteren verwies der Erstbeschwerdeführer darauf, dass er neben eines Beweismittels zu seiner Identität (Reisepass) ebenfalls einen Beweis dafür vorgelegt habe, dass er zum Wehrdienst einberufen worden sei; so habe er eine Bestätigung zur Einberufung zum syrischen Militär in Vorlage gebracht und sei diese auch unter der Auflistung der Beweismittel im bekämpften Bescheid aufgeführt. Die Tatsache der Einberufung zur Militärdienstleistung wurde seitens der Erstbehörde jedoch mit keinem einzigen Wort, weder in den Feststellungen noch in der Beweiswürdigung erwähnt. Eine Auseinandersetzung mit diesem Beweismittel wäre geboten gewesen. Die Erstbehörde führe zum Thema „Wehrdienstverweigerung“ aus, welche folgen es habe, einem Einberufungsbefehl nicht nachzukommen und würde Wehrdienstverweigerung in Syrien seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges mit dem Tode bestraft und nicht mit Haftstrafen. Wer die syrischen Geheimdienstbehörden kenne, wisse, dass sie über jeden Schritt Bescheid wüssten und habe er damals 48 Stunden Zeit gehabt, sich zum Wehrdienst zu melden und sei er nach Ablauf dieser 48-stündigen Frist sofort vom Geheimdienst gesucht worden.

Zum Beweisthema Wehrdienstentziehung verwies der Erstbeschwerdeführer auf mehrere auszugsweise aufgeführte Unterlagen seitens UNHCR sowie Medienberichte. Im Weiteren bezog sich der Erstbeschwerdeführer zentral darauf, dass die Lage seit der teilweisen Machtübernahme von Rebellen in Syrien für die Situation von Christen sich verschlechternd ausgewirkt habe und sei dies bei der Erstbefragung völlig außer Acht gelassen worden. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei sohin statthaft.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

Die bekämpften Bescheide beziehen sich inhaltlich hinsichtlich des vorliegenden Sachverhaltes darauf, dass die Beschwerdeführer deren Heimat lediglich aufgrund der allgemein herrschenden Bürgerkriegssituation verlassen haben. Das weitere Vorbringen des Erstbeschwerdeführers sowie dessen Ehegattin der Zweitbeschwerdeführerin hinsichtlich einer erfolgten Einberufung zur Militärdienstleistung wird im bekämpften Bescheid gänzlich ausgeblendet. Das vorgelegte in arabischer Sprache gehaltene Beweismittel – angebliche Vorladung bzw. Aufforderung zur Stellung  zur Militärdienstleistung – wurde weder behandelt noch gewürdigt.

In gleichgelagerten Entscheidungen des Asylgerichtshofes aus dem Jahr 2013 wurde unter anderem wie folgt ausgeführt:

„Im gegenständlichen Fall hat das Bundesasylamt unter Außerachtlassung der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur allfälligen asylrechtlichen Relevanz von Wehrdienstverweigerung den Sachverhalt mangelhaft ermittelt:

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in seinem Erkenntnis vom 1.3.2007, 2003/20/0111, die Ansicht, dass auch die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung u.a. dann zur Asylgewährung führen kann, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen – wie etwa bei der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl. in diesem Zusammenhang Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 2. Auflage, Nachdruck 1998, 58; in der Entscheidung des United Kingdom Court of Appeal, Fall Sepet und Bulbul, vom 11. Mai 2001, die Absätze 61, 63, 65 und 111). Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der – generellen – Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrunde liegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre.

Aus dem Rechtssatz zu Zl. 2000/01/0072 vom 21.12.2000 ergibt sich weiters, dass, wenn die Verhängung des Kriegsrechts und somit die Geltung verschärfter Strafdrohungen bei Wehrdienstverweigerung im Wesentlichen dazu dient, dass Einberufene erhöhtem Druck zur Teilnahme an Handlungen ausgesetzt sind, die sich im hier gegebenen Ausmaß gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten (vgl Art 1 Abschn F FlKonv), dies unter der weiteren Voraussetzung, dass einem Wehrdienstverweigerer zumindest eine gegen den Staat gerichtete politische Gesinnung unterstellt wird, die Anforderungen der Rechtsprechung an die Zuerkennung von Asyl erfüllt.

Wie sich aus den Feststellungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid ergibt, werden Wehrdienstleistende gezwungen, auf unbewaffnete Zivilisten, darunter Frauen und Kinder zu schießen, im Falle ihrer Weigerungen wären sie Gefahr gelaufen, selbst erschossen zu werden. Bei der Weigerung gegen Protestierende vorzugehen droht den Soldaten Haft und Folter. Damit besteht wohl im Sinne der obzitierten Rechtssätze einerseits unzweifelhaft Druck zur Teilnahme an Handlungen, die „sich im hier gegebenen Ausmaß gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten“, und fehlt den Sanktionen (Tod, Folter) andererseits auch jede Verhältnismäßigkeit, sodass im Falle der weiteren Voraussetzung einer unterstellten gegen den Staat gerichteten politischen Gesinnung die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers gegeben wäre.

Vor dem Hintergrund, dass sich nach den Feststellungen des Bundesasylamtes „die syrische Regierung extrem repressiv gegenüber anderen Meinungen“ verhält, hätte das Bundesasylamt Feststellungen dazu treffen müssen, inwieweit Wehrdienstverweigerern einerseits generell und andererseits im konkreten Fall des Beschwerdeführers seitens des syrischen Regimes eine missliebige politische Gesinnung unterstellt wird, wobei auch die kurdische Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers in die Erwägungen miteinzufließen gehabt hätte.

In einem gleichgelagerten Fall hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.11.2006 Zl. 2005/20/0531, ausgeführt, dass einer unverhältnismäßig strengen Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion in Verbindung mit politischen oder religiösen Überzeugungen, auf denen das geahndete Verhalten beruhe, asylrechtliche Bedeutung zukomme. Gleiches geltet für den Fall, dass die Verweigerung der (weiteren) Wehrdienstleistung als Ausdruck einer dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat unterstellten oppositionellen Gesinnung verstanden werde.

Das Bundesasylamt hat im angefochtenen Bescheid weiters keine Feststellungen zu einer allfälligen Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers getroffen. “

Im vorliegendem Fall hätte es jedenfalls einer konkreten Auseinandersetzung mit dem vorgelegten schriftlichen Beweismittel (Einberufungsbefehl) bedurft. Sollte das Bundesasylamt jedoch davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich zum Militärdienst einberufen worden ist, so wären Feststellungen zur Rückkehrgefährdung im Falle seiner Wiedereinreise bzw. Abschiebung von Österreich nach Syrien unabdingbar.

Zudem kommt abschließend, dass die Angaben des Erstbeschwerdeführers in sich sowie in Hinblick auf die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin frei von Widersprüchen sind, was bei der Beweiswürdigung grundsätzlich zu Gunsten des Erstbeschwerdeführers wiegt.

Nach der derzeitigen Aktenlage kann den Angaben des Erstbeschwerdeführers zur Bedrohungssituation jedenfalls nicht schlüssig entgegengetreten werden, sodass im Hinblick auf die Zweifel des Bundesasylamtes an der Richtigkeit des Vorbringens der Sachverhalt mangelhaft iSd § 66 Abs. 2 AVG geblieben ist.

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.

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